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In beiden Fällen geben die Künstler den Slogan aus: „Zurück zum Absender“. Wer genauer hinschaut und sich genau anschaut, was aus Afrika nach Europa zurückgeschickt wurde, fühlt sich im Elektroschrott gefangen, wie: „Das könnte meins sein.“ Eine Logitech-Maus, ein Netgear-Modem, ein Philips-Gerät, Fernsehmonitore. Leiterplatten werden ausgebaut, einzelne Bauteile und Rohstoffe wiederverwertet, der Rest, giftig oder ungiftig, landet auf mehreren Quadratkilometern Deponien, wo die Menschen wiederum nach etwas Verwertbarem suchen. Simon Hadler/ORF.at Das Nesting-Kollektiv baute einen Raum aus Kleiderbündeln, wie sie nach Afrika geliefert wurden. vor ihm ein Block Elektroschrott

Was modisch ist, bleibt im Westen

Bei Kleiderspenden ist das anders. Verschiedene Organisationen sammeln die Kleiderspenden in Containern im Westen. Sie gehen zu einer Sortieranlage. Alles, was in Second-Hand-Läden im Westen potenziell verkauft werden kann, wird auch im Westen so gewinnbringend wie möglich verkauft. Ein Teil des Erlöses wird dann in Projekte investiert, die Ländern des globalen Südens helfen sollen. Was die Sortieranlage als potentiell unmodern erachtet, geht entweder ins Rohstoffrecycling – oder wird zu Ballen gepresst und nach Afrika verschifft. Die Pakete sind sortiert – eine Hose, ein T-Shirt, ein Hemd. Wer später mit seinen Marktständen seine Produkte feilbietet, kauft eines der riesigen Päckchen, weiß aber bis auf die Art der Kleidung nicht, was drin ist, berichtet Sunny Dolat vom Nestkollektiv. Der Markt ist immer mit großem Risiko verbunden. Manchmal sind bis zu 90 Prozent der Kleidungsstücke so kaputt, dass sie nicht mehr repariert werden können. Sie liegt immer zwischen 40 und 60 Prozent. Sie müssen dann entsorgt werden.

Die Angemessenheit des Selfies als Kriterium

Vieles vom Rest ist gut genug, um gewaschen und repariert zu werden. Die wenigsten Stücke lassen sich im Verhältnis 1:1 weiterverkaufen – wer vom Gebrauchtverkauf lebt, kann kaum überleben. Und für die wenigen Fälle, in denen etwas Cooles vorbeigerutscht ist, hat Kenia sogar einen eigenen Spitznamen: Sie sind „Kamera“ – also so locker, dass Sie sie überstreifen und mit Ihrer Smartphone-Kamera ein Selfie machen können. Es gibt auch Händler, die die „Kamera“-Mode aufkaufen und dann zu einem etwas höheren Preis weiterverkaufen – sie kommen zum Beispiel bei Hipstern gut an. Für die Mehrheit der Bevölkerung bleiben jedoch Rückwürfe, die selten mehr als einen Dollar kosten. Und mit diesen Preisen kann die einst blühende Textilindustrie nicht mithalten. Viele Fabriken mussten geschlossen werden, hunderttausende gute Jobs gingen verloren. Dass auf dem Gebrauchtmarkt prekäre Arbeitsplätze entstanden seien, kompensiere dies hingegen nicht, so Dolat. Außerdem könnten kenianische Textilprodukte auf dem Second-Hand-Markt gelandet sein. Shabu Mwangi erzählt vom harten Leben junger Menschen in den Slums von Nairobi: Polizeimorde, Kriminalität, Perspektivlosigkeit. Kunst ist ein mögliches Ventil.

Kunst aus dem berüchtigten Armenviertel Lunga Lunga

Ein ganz anderes Projekt hat die Künstlergruppe Wajukuu umgesetzt. Auch er stammt aus Nairobi, aus dem riesigen Viwandini-Slum und von dort aus dem berüchtigten Stadtteil Lunga Lunga. Shabu Mwangi ist selbst in Lunga Lunga aufgewachsen und hat dort Anfang der 2000er Jahre eine Gruppe gegründet, die sich um junge Menschen kümmert. Es gibt pädagogische Aktivitäten, es gibt Werkstätten, und es gab auch eine Bibliothek – die kürzlich ohne Vorwarnung abgerissen wurde, weil sie einer Autobahn weichen musste und außerdem nicht auf gekauftem, registriertem Land stand. Das seien nicht die einzigen Probleme des Wajukuu-Projekts, sagt Mwangi im Interview mit ORF.at. Viele der jungen Leute aus den Workshops, sogar einige der Gründungsmitglieder, brachen ab, verloren durch Kriminalität oder Drogen. Die Aufregung der ersten Tage ist verflogen. Aber die Kunst gibt den Jungen, die den Weg nach Wajukuu finden, zumindest vorübergehend eine Perspektive auf die Zukunft. Joseph Waweru leitet die Wajukuu-Gemeinschaftsausstellung im Rahmen der documenta in Kassel. Kunst, die sich mit dem Leben in den Slums auseinandersetzt – aber auch mit dem Leben an sich.

Einladung zum Haus aus Wellblech

In Kassel hat die Künstlergruppe mit der Neugestaltung des gesamten Eingangsbereichs der Haupthalle der documenta beinahe ein Meisterwerk abgeliefert. Diesmal geht es beim Kunstfestival darum, dass Kollektive aus aller Welt Projekte vor Ort umsetzen und sich untereinander und mit Initiativen aus Deutschland vernetzen. Was viele „Kunst“-Besucher erwartet haben, wird kaum geboten. Allerdings hat das Wajukuu-Kollektiv Schauwert geschaffen, eine verrostete Wellblech-Slum-Umgebung – sie wollen das documenta-Publikum hierher in ihre Häuser in Lunga-Lunga einladen, sagt Joseph Waweru. An verschiedenen Orten, das Leben im Slum, das Leben in Kenia – aber auch einfach das Leben selbst kommentierend, gibt es Bilder, Installationen und Skulpturen mit jeweils einer ganz besonderen Erklärung. im obigen Video führt der Untertitel Waweru zum documenta-Gebiet Wajukuu.