Der britische Premier Boris Johnson ist in den vergangenen Tagen wegen eines neuen Sex-Skandals in seiner Partei noch stärker unter Druck geraten. (24. Mai 2022) Foto: Daniel Leal (Keystone) Der britische Premierminister Boris Johnson kämpft nach dem Rücktritt zweier wichtiger Minister härter denn je um sein politisches Überleben. Unter heftiger Kritik am Regierungschef traten am Dienstag Gesundheitsminister Sajid Javid und Minuten später Finanzminister Rishi Sunak von ihren Ämtern zurück. Beide zielten auf den Führungsstil des 58-Jährigen ab. Dies stürzte das Land in eine schwere Regierungskrise. Trotz der Kritik habe der Premierminister keinen Kurswechsel eingeleitet, betonte Javid in seinem heute Abend veröffentlichten Rücktrittsschreiben. “Mir ist klar, dass sich diese Situation unter Ihrer Führung nicht ändern wird.” Sunak schrieb, dass sein und Johnsons Ansatz „sehr unterschiedlich“ sei. Mehrere konservative Abgeordnete lobten die Politiker für ihre Haltung. Viele andere Kabinettsmitglieder wie Vizepremierminister und Justizminister Dominic Raab oder Außenministerin Liz Truss sicherten dem Ministerpräsidenten umgehend ihre Unterstützung zu. Zudem gilt Johnson als Stand-Up-Mann und hat mehrere Skandale überstanden. Aber die Stimmung innerhalb seiner Konservativen Partei ist beschädigt. Der Premierminister muss zurücktreten, sagte ein Kabinettsmitglied gegenüber Sky News. Die Opposition war begeistert. „Nach all dem Dreck, den Skandalen und dem Versagen ist klar, dass diese Regierung auseinanderfällt“, sagte Labour-Chef Keir Starmer. Als Zeichen gegen den „krankhaften Lügner“ Johnson forderte der Oppositionsführer andere Kabinettsmitglieder zum Rücktritt auf. Am Abend wurde bekannt, dass Johnsons Stabschef und enger Vertrauter Steve Barclay neuer Gesundheitsminister wird.

Johnson verlor das Vertrauen

Die unmittelbare Ursache des politischen Terrors in London ist Johnsons Umgang mit dem jüngsten Skandal um sexuelle Belästigung durch einen hochrangigen Tory-Abgeordneten. Dass sich der Premierminister kurz vor den Rücktritten bei der BBC entschuldigte und einräumte, dass die Ernennung des Abgeordneten Chris Pincher zum sogenannten Deputy Whip ein Fehler gewesen sei, änderte nichts an den Rücktritten – beziehungsweise brachte den beiden Ministern das Fass zum Überlaufen . Peitschen – zu Deutsch wörtlich Peitschen – sollen für Gruppendisziplin sorgen. Pincher trat letzte Woche zurück, nachdem Medienberichte berichtet hatten, er habe zwei Männer in hochgradigem Rausch gestreichelt. Die Regierung zeigte sich schockiert über die Entwicklung. Die Gegenreaktion war so oft bei Johnson. Erstens schlug der Premierminister vor, dass Pinchers Rücktritt den Fall abschließen würde. Als die Proteste lauter wurden, suspendierte die Tory-Fraktion den Abgeordneten trotzdem. Schließlich berichteten die Medien zuvor, ähnliche Vorwürfe, von denen Johnson Kenntnis hatte. Sein Sprecher bestritt dies zunächst – nur um am Dienstag einzugestehen, dass dem Ministerpräsidenten bereits 2019 Vorwürfe gegen seinen konservativen Parteifreund mitgeteilt worden seien. Er habe es einfach vergessen. Gesundheitsminister Javid hat nun geschrieben, er habe das Vertrauen in den Premierminister verloren. Unter Johnsons Führung würden die Tories nicht als wertegetrieben oder im Dienste nationaler Interessen gesehen. Auch nach dem parteiinternen Misstrauensvotum, das Johnson kürzlich knapp gewonnen hat, hat der Premierminister keinen Kurswechsel eingeleitet. Finanzminister Sunak betonte, er sei Johnson gegenüber immer loyal gewesen. “Aber die Öffentlichkeit erwartet zu Recht, dass die Regierung richtig, kompetent und seriös handelt.” Auch der frühere Brexit-Minister David Frost, der Berichten zufolge Ambitionen auf Johnsons Amt hegt, forderte den Sturz des Premierministers. Wenige Stunden nach den Rücktritten der Finanz- und Gesundheitsminister hat der britische Premierminister Boris Johnson die Posten neu besetzt. Johnson hat am Dienstagabend den ehemaligen Bildungsminister Nadhim Zahawi zum neuen Finanzminister ernannt. Laut Downing Street hat Queen Elizabeth II. der Ernennung des irakischen Politikers zugestimmt. Johnson machte auch seinen ehemaligen Stabschef Steve Barkley zum Gesundheitsminister.

Johnson steht vor einem parlamentarischen Ausschuss

Die Regierungskrise kommt zur falschen Zeit. Großbritannien kämpft angesichts dramatisch gestiegener Lebenshaltungskosten mit einer historischen Krise. Die Inflation ist auf dem höchsten Stand seit etwa 40 Jahren. An diesem Mittwoch kürzt die Regierung die Sozialversicherung für Millionen von Menschen mit niedrigerem Einkommen. Johnson hoffte auf eine Freilassung. Außerdem hatte der Premierminister gerade einen Skandal überstanden, den viele Beobachter bereits für beendet gehalten hatten: die „Partygate“-Affäre um illegale Lockdown-Feiern in der Downing Street. Der Premierminister musste persönlich eine Geldstrafe für den Besuch einer der Partys bezahlen. Entgegen den Erwartungen parteiinterner Kritiker blieb er im Amt. Geholfen hat ihm laut Experten auch sein klares Eintreten für die Ukraine im Krieg gegen Russland. Laut Satzung der Partei darf es ein Jahr lang keine weitere Abstimmung geben. Johnson könnte jedoch nach den Rücktritten von Sunak und Javid zum Rücktritt gezwungen werden. Diesen Mittwoch ist Showtime! Johnson muss sich wie geplant einem Verbindungsausschuss stellen, einem parlamentarischen Ausschuss. Die Untersuchung ist traditionell ein Höhepunkt des Parlamentsjahres. Oft überbieten sich die Mitglieder mit heiklen Fragen, “braten” den Ministerpräsidenten. Es wird Johnsons erster Kampf in seiner nächsten Kampagne für ein Amt sein. SDA/AFP/aru Veröffentlicht: 05.07.2022 19:38 Einen Fehler gefunden? Jetzt melden. 11 Kommentare