Dagegen hat es Proteste gegeben, etwa von der „Critical Lawyers Task Force“. Die Universität sagte die Vorlesung ab, es sei zu erwarten, dass es neben dem Protest auch einen Gegenprotest geben werde und eine Eskalation einen geregelten Ablauf der Großen Nacht der Wissenschaften „überschatten“ würde, heißt es in der Mitteilung der Universität.
Vorlesung abgesagt: Humboldt-Universität rückt von transphoben Äußerungen ab
Wer auch gerne im öffentlich-rechtlichen Rundfunk über vermeintliche „Frühsexualisierung“ schimpft und an jeder Ecke eine Verschwörung böser Walker-Queer-Aktivisten vermutet, war sofort alarmiert. Die „Cancel Culture“-Story wurde heiß diskutiert und wie es sich für brutal abgesagte Rechtskonservative gehört, erhielt Frau Vollbrecht viel mediale Aufmerksamkeit. Ihr Vortrag, den sie auf einen YouTube-Kanal hochgeladen hat, wurde von der Bild-Zeitung veröffentlicht und alle überregionalen Medien berichteten über den Fall, teilweise mit einem völlig verzerrten Opfermythos eines zum Schweigen gebrachten Wissenschaftlers. Allerdings distanziert sich auch die Humboldt-Universität von den Ansichten der Doktorandin, die sie am 1. Juni in der Zeitung „Die Welt“ zusammen mit einigen anderen Gender-Aktivisten bestens als unterschätzte Wissenschaftlerin zum Ausdruck bringen konnte. Gleichberechtigung und gegen Geschlechtervielfalt. Zu dem von Marie-Luise Vollbrecht mitverfassten Anti-Trans-Artikel sagte die Humboldt-Universität: „Sie stehen im Widerspruch zum Leitbild der HU und den von ihr vertretenen Werten. Die HU bekennt sich zum “gegenseitigen Respekt voreinander”. Daher distanzieren wir uns ausdrücklich von dem Artikel und den darin geäußerten Ansichten.” Das passt nicht so gut zum Narrativ vom armen Kämpfer für Wissenschaft und Aufklärung, der von Linksradikalen fast gewaltsam daran gehindert wurde, für die Wahrheit zu kämpfen. Medien von FAZ bis Bild kategorisieren sie im Einvernehmen mit rechten Blogs wie „Tichys Insight“ als Deutschlands Kathleen Stock und wollen mit aller Macht zeigen, dass „linke Aktivisten“ sich der Welt „aufdrängen“ wollen. Blick auf “normale Menschen” mit ihrem “Schreckensverhalten”. Inzwischen wurde bekannt gegeben, dass der Vortrag nachgeholt wird. Der ursprünglich abgesagte Vortrag der Doktorandin Marie-Luise Vollbrecht findet am 14. Juli statt.
Eine Schmutzkampagne im Schafspelz der Wissenschaft
Was die schnell entrüsteten Kämpfer gegen „abgefahrenen emotionalen Horror“ gerne verschweigen, ist, dass der Vortrag selbst völlig ungeeignet war: Er war nicht geeignet, wissenschaftliche Inhalte im Rahmen einer „Großen Nacht der Wissenschaft“ für Interessierte zu präsentieren, die Massen, noch hatte es einen wissenschaftlichen Wert. Die Doktrin „Es gibt nur zwei Geschlechter“ mag hart klingen und sogar konservativen Kolumnisten über die Lippen rutschen, ist jedoch unbegründet und wissenschaftlich völlig überholt. Vorzugeben, dass diese These eine wissenschaftliche Debatte sinnvoll nährt, kommt dem Wunsch gleich, erneut darüber debattieren zu wollen, ob sich die Erde um die Sonne dreht oder ob es Viren gibt. Das sind Debatten aus vergangenen Jahrhunderten, deren Wiederholung die Wissenschaft um kein Jota voranbringt – ganz im Gegenteil. Was dann bleibt, ist der Versuch einer Aktivistin, ihre Ansichten mit den Schafen eines wissenschaftlichen Vortrags mehr oder weniger subversiv an die Öffentlichkeit zu bringen. Eskalation war auf jeden Fall Teil des Plans – eine Win-Win-Situation sozusagen. Hätte der Vortrag stattgefunden, hätte er ihn als Erfolg gefeiert. Bei Ablehnung und Protest kann die „Culture Cancellation“-Maschinerie anspringen und die ganze Welt redet über unwissenschaftlichen Unsinn, als wäre er eigentlich Gegenstand eines wissenschaftlichen Diskurses. Das nennt man übrigens „falsche Bilanz“ – auch sehr beliebt bei wissenschaftsfeindlichen Klimaleugnern und sogenannten Querdenkern.
Dual Gender – Konzept von gestern
Erscheint der Vergleich absurd und unvernünftig? Wohl nur, wenn man den Rest des vermeintlich jetzt abgesagten Doktoranden der Meeresbiologie nicht kennt. Auf Twitter geht sie als „Ms. Summer“ umher und macht dort vor allem mit superfeindlichen Ausfällen auf sich aufmerksam. So fantasiert er etwa von Kastrationen mit „rostigen Astscheren Stück für Stück“ oder wirft allen Transmenschen regelmäßig Pädophilie vor. Dafür erhielt er Applaus, auch von rechten Trollen und aus den Reihen der AfD. Diese Verbindungen und Überschneidungen scheinen sie und ihre Mitstreiter jedoch nicht zu beunruhigen. Es braucht nicht viel Fantasie, um den Vorfall im Zusammenhang mit dem kürzlich in seinen Eckpunkten vorgestellten Selbstbestimmungsrecht zu sehen. Es soll laut Ampel das teilweise verfassungswidrige Transgender-Gesetz ersetzen und ab Mitte 2023 in Kraft treten.Für rechte und konservative Kreise, die den beiden Geschlechtern die Treue halten wollen, ist es natürlich erschreckend, dass das deutsche Grundgesetz Staat erreicht in dieser Hinsicht endlich die Realität. Man kann sich also darauf einstellen, dass solche Scheinskandale wie der angebliche Schrecken an der Humboldt-Universität öfter vorkommen. Medienkampagnen werden häufiger und intensiver. Die Ausgegrenzten werden noch einige Monate vielen Angriffen ausgesetzt sein, bis sie zumindest etwas mehr Rechtssicherheit bekommen. Wer sich in der Zwischenzeit über die komplexe und schöne Welt der Biologie weiterbilden möchte, tut gut daran, Artikel und Bücher zu lesen, die den Stand der Wissenschaft und aktuelle Debatten widerspiegeln. Die Randerscheinungen von gestern gehören nicht dazu und das ist auch gut so.
Die Medien und ihre Verantwortung
Wie Sie an diesem Fall sehen können, tragen die Medien eine große Verantwortung, wenn es um die Berichterstattung über komplexe Themen geht. Wie man zum Beispiel über Themen berichtet, die die Ausgegrenzten betreffen, kann Entscheidungen über den Fortschritt des gesellschaftlichen Diskurses informieren. Deshalb haben der Bundesverband Trans* (BVT* e. V.), die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti e. V.), TransInterQueer (TrIQ e. V.) und InterTransBeratung Queer Leben gestartet und richten sich an alle deutschen Medienschaffenden. Ziel ist es, über Anti-Trans-Meldungen zu informieren. Dazu wurde auf der Plattform innn.it eine Petition gestartet, die bereits von mehreren tausend Menschen unterzeichnet wurde, darunter viele Initiativen und Stiftungen. Auf der Seite steht sowas: „Meinungsfreiheit ist ebenso wie die Menschenwürde das höchste Gut einer demokratischen Gesellschaft. Sie schließt jedoch nachweislich unwahre Tatsachenbehauptungen nicht ein und endet mit einer Verletzung der Menschenwürde. Genau hier setzt die Verantwortung der Medien für die Tatsachen an und kommt.“ menschliche Berichterstattung. Deshalb appellieren wir an die Medien, eindeutig herabwürdigende Meinungsäußerungen nicht zu akzeptieren.“ Ziel von „Transmedienwatch“ ist es, eine respektvolle und menschliche Berichterstattung zu unterstützen. Die Initiatoren des Berichts verweisen auf die Beispiele der USA und Großbritanniens, wo transmenschenfeindliche Berichte zunehmend in den großen Medien verbreitet werden und zur Radikalisierung von Gesetzen und gesellschaftlichen Stimmungen beitragen. Diesen Trends will man in Deutschland entgegenwirken. Einzelpersonen und Institutionen können ihre Unterstützung auf der Petitionsseite von innn.it zum Ausdruck bringen.