Von: Katja Thorwarth Aufteilung Der Biologe Vollbrecht wollte einen Vortrag an der Humboldt-Universität halten. Es gab einen Aufschrei darüber. © Christophe Gateau/dpa Die Humboldt-Universität sagt einen Vortrag des Biologen Vollbrecht ab. Medizinsoziologe Mahr spricht im Interview über Hintergründe und rechte Strukturen.
DR. Herr Mahr, in den sozialen Netzwerken herrscht Aufregung, weil die Humboldt-Universität einen Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht abgesagt hat. Vollbrecht spricht in Bild vom “Rückzug auf radikale, gewaltbereite Aktivisten”. Wen meint er hier? Mit dieser Aussage bezieht sich Marie-Luise Vollbrecht auf den Arbeitskreis kritischer Juristen (akj). Das ist eine mutige Gruppe junger Jurastudenten der Humboldt-Universität. Diese jungen Menschen engagieren sich nicht nur für die Reform der juristischen Fakultät, sondern auch für die Inklusion und die Rechte gesellschaftlicher Randgruppen. Was war der Grund? Schockiert von der bewusst ambivalenten Titelwahl für den populärwissenschaftlichen Vortrag von Frau Vollbrecht, rief akj zu einer Protestkundgebung vor dem Hauptgebäude der Universität auf. Ziel dieses Protests war es, den Vortrag der Biologie-Doktorandin angesichts ihres teilweise aggressiven und persönlich beleidigenden Aktivismus gegen das geplante Selbstbestimmungsgesetz und die Selbstbestimmung von Sexarbeiterinnen einzurahmen. Gleichzeitig wollten die Studierenden darauf aufmerksam machen, dass Vollbrecht tief in reaktionäre und kollektive menschenverachtende Netzwerke verstrickt war, die bisher nur in den USA bekannt waren. Um diese Informationen zu teilen, hatte akj Pressevertreter zu einer Informationsveranstaltung eingeladen.

Persönlich

Dana Mahr ist promovierte Medizinsoziologin und Wissenschaftshistorikerin. An der Universität Genf forscht er zu den sozialen Folgen der Präzisionsmedizin für gesellschaftliche Randgruppen. Von “gewaltbereiten Aktivisten” kann keine Rede sein. Vielmehr handelt es sich um Menschen mit politischem Mut, die sich zu Recht Sorgen um neue Formen der Radikalisierung in unserer Gesellschaft machen. Dazu gehören auch jene Formen der Misanthropie, die sich einerseits in eine Aura scheinbarer Rationalität kleiden, andererseits aber auch Motive, Symbole und „Pfeifen“ (kodierte Sprache, KT) der Rechten verwenden extremistische Memekultur von Plattformen wie 4Chan oder auf 8Chan. Der Vortrag trägt den Titel „Geschlecht ist nicht (Geschlecht) Geschlecht, Geschlecht, Geschlecht und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt“. Mit welchen Argumenten will Vollbrecht ihre These untermauern Ich denke, in diesem Vortrag geht und ging es nicht um Argumente oder wissenschaftliche Thesen. Vielmehr war und ist der Vortrag Teil einer regressiven Kommunikationsstrategie jener Akteure, denen die (noch) bestehende Offenheit unserer Gesellschaft ein Dorn im Auge ist. Frau Vollbrecht, ihre Co-Autorin des Anti-Queer-Gastbeitrags in der Springer Die Welt und ihre „fliegenden Affen“ der sogenannten „Siff-Twitter-Bubble“ hat es sich zum Ziel gesetzt, Trans*-Menschen, Sexarbeiterinnen und Menschen mit Behinderungen zu kennzeichnen als ‘der andere’, ‘gefährlich’, ‘entartet’.

Der Biologe Vollbrecht vollzieht eine Opfer-Opfer-Umkehr

Kannst du genauer sein? Als „Kindermörder im Kleid“ oder „nicht funktionierender Staubsauger“ werden beispielsweise die Journalistin Georgine Kellermann und der Behindertenaktivist Raul Krauthausen bezeichnet. Diese Kreise bedrohen und fordern oft jüngere Queers in sozialen Netzwerken heraus. Haben Sie ein Beispiel?Ein gutes Beispiel ist der Fall einer Transgender-Sexarbeiterin, die mich kontaktiert hat. Zunächst wurde sie von Frau Vollbrecht mehrfach auf Twitter mit dem falschen Pronomen angesprochen und beschimpft. Es war jemand, dessen Personenstand und Geschlecht nach dem Transgender-Gesetz von 1980 gesetzlich registriert waren. Als diese Person dann in dem Moment etwas Beleidigendes antwortete, machte Vollbrecht einen Screenshot und teilte ihn. Bald darauf nahmen andere Konten das Schild auf. Diese Person wurde mit einigen der schlimmsten Beleidigungen überhäuft, gemeldet und „berichtigt“ – eindeutig eine konzertierte Einschüchterungsstrategie, die besonders gut gegen schutzbedürftige Personen funktioniert. Was ist ihr Ziel: Emotionale Reaktionen hervorzurufen, die dann als „Beweis“ dafür dienen können, dass die andere Person für Frauen, Kinder oder die Gesellschaft als Ganzes gefährlich ist. Das ist eine klassische Strategie aus dem „Alt-Right“-Lehrbuch, die sogenannte Opfer-Opfer-Umkehr. Wenn Marie-Luise Vollbrecht von „radikalen Gewaltaktivisten“ spricht, tut sie genau das. Es vertauscht die Rollen. Der Köder war in diesem Fall die Verwendung des Wortes „Gender“ im Titel des Vortrags. Warum sollte performatives und soziales „Gender“ in einer Vorlesung zur Sexualbiologie von Meerestieren eine Rolle spielen – was bei nichtmenschlichen Tieren natürlich nicht der Fall ist? Dana Mahr ist promovierte Medizinsoziologin und Wissenschaftshistorikerin. © Privat Kannst du meine Frage beantworten? Ich bin mir sicher, Frau Vollbrecht und ihre Mitarbeiter wollten queeren Menschen und ihren Verbündeten (wie akj) „das Messer auf die Nase legen“. Wie das Tiraden auf Twitter zeigt, ist ihnen das gelungen, denn Vollbrecht stilisiert sich derzeit als Opfer des „Wachmobs“ und einer angeblich „wissenschaftsfeindlichen Kultur“. Trotzdem finde ich die Aktion von akj wichtig und gut. Denn – auch das stammt aus dem Spielbuch der Alt-Right – gegen die hinterhältigen, oft wortreichen Aktionsformen der neuen Anfeindungen ist es nicht so einfach zu gewinnen. Was Sie jedoch tun können (und sollten), ist auf ihre Gefahren hinzuweisen, wo Sie ihnen begegnen.

Affäre Vollbrecht: Tessa Ganserer Politik konzentriert sich auf „regressive Ethik“

Übrigens ging es Leuten wie Marie-Luise Vollbrecht nie um die biologische Gleichberechtigung der Geschlechter, sondern darum, Menschen wie die Politikerin Tessa Ganserer oder mich mit Hilfe einer regressiven Moral des „Normalen“ (wieder) aus der Gesellschaft zu drängen. Streiten Sie darüber auf Twitter, warum? Seit einigen Wochen werde ich von Schauspielern wie Frau Vollbrecht angefeindet. Der Grund dafür ist wahrscheinlich ein Aufsatz, den ich in der englischsprachigen Zeitschrift Science for the People geschrieben habe. Dieses Papier befasst sich mit den epistemischen Normen und sozialen Überzeugungen, die seit den 1970er Jahren mit jugendlichen Blockern verbunden sind, einschließlich der Verwendung solcher Mittel bei der Behandlung von Jugendlichen, die an Geschlechtsdysphorie leiden. Dieser Artikel wurde auf Twitter angefeindet. Wie; Zuerst schickten sie mir zum Beispiel Direktnachrichten mit der Nummer 40 und dann Folgen von Emojis wie das Clownsgesicht und einen Globus. Das klingt harmlos, bis man merkt, dass sich die Zahl 40 auf die Suizidstatistik von Trans*-Menschen bezieht und „Clownsworld“ eine rechte Weiterentwicklung des Pepe-the-Frog-Memes ist, das die Zahl 88 als „Heil Hitler“-Zeichen verwendet der Zugehörigkeit eines Randalierers. Übersetzt ins Deutsche heißt das, ich müsste mich umbringen – und unter Adolf Hitler gäbe es „mich nicht“. So harte Sachen. Warum 40 Zahlen in der Trans*-Suizidstatistik Es gibt veraltete Statistiken aus den USA, dass etwa 40 Prozent der Trans*-Menschen nach der Geschlechtsumwandlung Suizid begehen. Dies wird als Argument für eine inhärente psychische Instabilität der trans* Bevölkerung angeführt, ohne auf die tatsächlichen sozioökonomischen Hintergründe dieser alarmierenden Zahl einzugehen. Einer der Hintergründe sind übrigens genau die Hasskampagnen, die Leute wie Frau Vollbrecht betreiben.

Hasskampagne gegen Professor Mahr: „Pissy Soziologe“

Können Sie Vollbrecht oder ihren Mitstreitern solche Anfeindungen zuschreiben? Solche Anfeindungen erreichten mich unter anderem von den Co-Autoren des antiqueeren Welt-Gastbeitrags. Irgendwann ist Frau Vollbrecht auf mich aufmerksam geworden und hat mit einem Tweet, der inzwischen aus ihrer Timeline gelöscht wurde, ihre Follower gebeten, Folgendes zu tun: „Psssst, können wir etwas Wahrheit über diese angepisste Soziologin verkörpern.“ Der Screenshot zeigt einen Beispiel-Tweet von „Frau Summer“, dem Account von Marie-Luise Vollbrecht. © Screenshot_Twitter_Dana_Mahr Sie meinte wahrscheinlich eine Vorlesung über feministische Theorien und soziale Verkörperung, die ich Mitte Juli an der Universität Erfurt halten werde. Auch hier wird die Vieldeutigkeit der Bedrohung sichtbar. Was bedeutet es, wenn Sie möchten, dass Ihre Freunde “einige Wahrheiten in mich hineinbringen”. Konkret bedeutet das: eine Hetzkampagne gegen meinen Arbeitgeber, die Universität Genf in der Schweiz, gegen meine Frau und meine 17-jährige Tochter. In den letzten Tagen hatten wir viele Drohmails und (besonders widerliche) Vergewaltigungsfantasien in unserem Posteingang. So viel dazu, dass sich die angeblich sexistischen Feministinnen um Marie-Luise Vollbrecht um den Schutz und das Leben von Cis-Frauen und Kindern kümmern sollen. Außerdem, mit Bezug auf biologische ‘Wahrheiten’, meine Existenz…