Am Freitag fand die Gedenkfeier zum Flugzeugabsturz über dem Bodensee statt. Was als nächstes geschah?
“Es regnete Leichen vom Himmel.” Dieser Satz hat sich in das Gedächtnis des ehemaligen Polizeipräsidenten in Friedrichshafen (Baden-Württemberg) eingebrannt. So sehr, dass sich Hans-Peter Walser 20 Jahre nach dem tragischen Flugzeugabsturz am Bodensee in Deutschland noch gut daran erinnert.
Er hörte den Satz am Abend des 1. Juli im Radio – als er bereits auf dem Weg zur Bühne war. Die Nacht, in der hunderte Menschen plötzlich Familienmitglieder, Freunde oder Bekannte verloren. Am Freitag, gefolgt von einer Gedenkwoche, findet erneut die Gedenkfeier am Unglücksort in Überlingen statt.
Es fühlte sich an, als wäre hier alles gestern passiert.
Für Angehörige eine Aufarbeitung der Vergangenheit: „Wenn ich hier an diesem Punkt stehe, wird alles unglaublich präsent. Mir steigt der Brandgeruch in die Nase“, sagt Taras Kostenko im Südwestrundfunk (SWR).
Was genau ist am Unfalltag passiert?
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Am 1. Juli 2002 startete ein russisches Passagierflugzeug in Moskau und in derselben Nacht ein DHL-Frachtflugzeug in Bergamo, Italien. An Bord der ersten Maschine waren insgesamt 71 Personen, darunter 49 Schulkinder zwischen 8 und 16 Jahren aus Ufa. Ihre Reise sollte nach Barcelona gehen – als Belohnung für ihre guten Leistungen. Eigentlich hätten sie schon vor einem Tag in Spanien sein sollen, aber der Busfahrer in Moskau verirrte sich, sie kamen zu spät an und mussten ein anderes Flugzeug nehmen. Das Ziel des DHL-Piloten und Co-Piloten war Brüssel. Die Flugrouten der beiden Flugzeuge kreuzten sich also, die Flugsicherung hat es nicht aufgezeichnet. Zudem wies der Fluglotse am Boden die beiden Piloten nicht an, die Höhe zu ändern, obwohl sie sich auf gleicher Höhe befanden. Weniger als fünf Sekunden später warnten Kollisionssysteme beider Flugzeuge, dass der Sicherheitsabstand überschritten wurde. Gleichzeitig erkannte der Fluglotse auf seinem Radar die Gefahrensituation. Er befahl dem russischen Passagierflugzeug den Abstieg, was die Piloten taten, obwohl ihr Warnsystem ihnen etwas anderes sagte. Die DHL-Piloten hingegen hörten auf ihr System und so begannen auch sie den Sinkflug. Die darin enthaltene Nachricht wurde nicht vor Ort registriert. Nun befanden sich also beide Flugzeuge gleichermaßen im Sinkflug – ohne ihr Wissen. Der Kapitän der Passagiermaschine suchte in der falschen Richtung nach der anderen Maschine. Etwa neun Sekunden vor der Kollision fragte er seinen Copiloten: „Wo ist (das andere Flugzeug)? Er antwortete mir: “Hier links.” Kurz nach 12:30 Uhr ereignete sich die Kollision in einer Höhe von etwa 11 Kilometern. Keiner der Passagiere überlebte den Unfall. Die Stadt Überlingen, ihre Stadtteile und der Bodensee, eine wichtige Trinkwasserquelle, blieben verschont, Verletzte am Boden gab es nicht. Stattdessen halfen viele Anwohner den Forschern und versorgten sie mit Essen und Trinken. Es steht auf dem Denkmal in Deutschland. Vor ihm mehrere riesige, silberne Kugeln. Sie ähneln einer gebrochenen Perlenkette. Ein Symbol dafür, wie abrupt sich die Menschen hier vom Leben gelöst haben. Kostenko verlor damals seine Schwester. „Die Emotionen, die ich hier an dieser Absturzstelle fühle, fühlen sich an, als wäre alles gestern passiert. Es ist, als hätte sich nichts geändert. Das kannst du nicht vergessen.” Viele Angehörige treffen sich regelmäßig in der Gedenkstätte, um gemeinsam zu trauern und sich auszutauschen. Ob die meisten noch in diesem Jahr kommen können, ist aber noch unklar. Die meisten von ihnen sind russische Staatsangehörige. Wegen des Krieges in der Ukraine ist es für sie schwierig, Deutschland zu erreichen. Es gebe keine Direktflüge und eine Anschlussreise sei für die meisten Familien ein Glücksfall, sagt Nadja Wintermeyer vom Tages-Anzeiger. 1/8 Legende: Am Freitag jährt sich der tragische Flugzeugabsturz zum 20. Mal. Schlüsselstein 2/8 Legende: Beim Absturz über dem Bodensee in Überlingen kamen insgesamt 71 Menschen ums Leben. Schlüsselstein 3/8 Legende: Unter ihnen waren 49 Kinder aus Russland. Sie waren auf dem Weg nach Barcelona, um ihre guten Schulleistungen zu feiern. Schlüsselstein 4/8 Legende: Große, silberne Kugeln am Unfallort erinnern an den Verstorbenen. Sie sollen eine gebrochene Perlenkette darstellen. Schlüsselstein 5/8 Mythos: Menschen wurden auf einen Schlag aus ihrem Leben, ihren Familien und ihrem Freundeskreis gerissen. Schlüsselstein 6/8 Bildunterschrift: Nach dem Unfall wurde festgestellt, dass technische Störungen und menschliches Versagen bei der Flugsicherung von Skyguide den Unfall verursacht haben. Für den Luftraum über Süddeutschland war ausschließlich ein Fluglotse zuständig. Aufgrund verschiedener Faktoren erkannte der Mann zu spät, dass ein Unfall bevorstand. Schlüsselstein 7/8 Bildunterschrift: Skyguide hat unmittelbar nach dem Unglück eine Sicherheitsabteilung mit 50 Mitarbeitern geschaffen, sagt Medienvertreter Vladi Barrosa. Dieser steuert Prozesse und Abläufe. Schlüsselstein 8/8 Legende: Zwei Jahre nach dem Flugzeugabsturz wurde der damalige Fluglotse von einem Verwandten erstochen. Er verlor seine Frau und zwei Kinder bei dem Unfall. Schlüsselstein Seit dem Unglück hatte er Kontakt zu den Opfern, begleitete sie unmittelbar danach als Dolmetscher vor Ort und leitet nun den Verein „Brücke nach Ufa“. Denn was die Helfer, Anwohner und Opfer in dieser Nacht erlebten, verbindet und baut Brücken – von West nach Ost.
Der schlimmste Flugzeugabsturz in Deutschland
Das Ereignis ging später als schwerster Flugzeugabsturz Deutschlands in die Geschichte ein. Die Medien sprachen von „menschlichem Versagen“ und „technischen Störungen“ – insbesondere bei der Flugsicherung von Skyguide.
Denn im Kontrollzentrum Zürich gab es einen Fluglotsen, der allein für den Luftraum über Süddeutschland zuständig war und dessen Radar und Telefon wegen Wartungsarbeiten nur eingeschränkt zur Verfügung standen. Der Mann erkannte zu spät, dass ein Unfall bevorstand.
Zwei Jahre nachdem der Pilot den Fehler gemacht hatte, wurde er 2004 von einem russischen Verwandten von drei Opfern erstochen. Er verlor seine Frau und zwei Kinder bei dem Unfall.
Das bleibt niemandem verborgen.
Diese Ereignisse beschäftigen die Flugsicherung von Skyguide noch heute. „Der Unfall in Überlingen ist Teil unserer Geschichte, er wird uns immer begleiten“, sagt Medienvertreter Vladi Barrosa gegenüber SRF. Am Memorial Day war die Enttäuschung natürlich besonders groß. „Viele der Mitarbeiter, die für uns arbeiten, waren damals da, und die Emotionen und Erinnerungen werden wieder geweckt und das kann niemand ignorieren.“
Skyguide bedauert diesen Vorfall sehr. „Wir tun alles, was wir können, um sicherzustellen, dass eine solche Katastrophe nie wieder passiert“, sagte Barossa. So wurde beispielsweise kurz nach dem Unfall eine Sicherheitsabteilung eingerichtet. „In Wirklichkeit machen 50 Mitarbeiter nichts anderes, als Prozesse und Abläufe auf Herz und Nieren zu prüfen.“