Bundesfinanzminister Habeck will auf eine mögliche Gasblockade in Russland vorbereitet sein. Heute beschäftigt sich der Bundestag mit Energiesicherheit – und der Frage, wie stark der Staat eingreifen soll. Von Julie Kurz, ARD-Hauptstadtstudio
Es ist nicht so, dass sich das Finanzministerium nicht seit Monaten im Ausnahmezustand befindet und von Tag zu Tag, von einer schlechten Nachricht zur nächsten hängt. Doch eines Tages wird er im Ministerium mit besonderem Argwohn behandelt. Von manchen wird er bereits als Tag X bezeichnet. Der 22. Juli 2022. Es ist so etwas wie der Tag der Wahrheit, der Tag, an dem sich die Richtung der Erdgas-Achterbahn entscheidet: Wird Deutschland den Winter überstehen oder nicht? NDR-Logo Julie Kurz ARD-Hauptstadtstudio @juliekurz Die Wartung von Nord Stream 1 sollte am 22. Juli abgeschlossen sein, die nächste Woche beginnen wird. Während dieser Zeit fließt kein Gas durch die Pipeline. Danach wird sich zeigen, ob Russland weiterhin weniger Gas, wieder mehr Gas oder gar nicht liefern wird. Letzteres wäre keine “Super-Überraschung”, wie der Finanzminister sagt.
In der Folge konnte dann in Berlin die Notstandsstufe ausgerufen werden. Die dritte Stufe des Gas-Notfallplans. Der Staat wird dann in den Erdgasmarkt eingreifen, um die Versorgung mit Erdgas sicherzustellen. Eine Gastrage: Wer bekommt was, wer nicht? Das ist an dieser Stelle alles hypothetisch.
Durch Krisen handlungsfähig
Doch das Finanzministerium will bestmöglich vorbereitet sein. Und deshalb wurde in den vergangenen Wochen pausenlos an einer Novelle des Gassicherheitsgesetzes gearbeitet, die nun zügig vor der Sommerpause – und damit noch vor dem 22. Juli – von Bundestag und Bundesrat eingebracht werden soll. Das Gesetz stammt aus dem Jahr 1975. Es wurde als Reaktion auf die Ölkrise geschaffen. Sie soll nun reformiert werden, damit die Regierung die Gaskrise handlungsfähig überwinden kann.
Das Ministerium spricht gerne von einem Baukastensystem, aus dem bei Bedarf unterschiedliche Instrumente zum Einsatz kommen könnten. Paragraf 29 des Energiesicherheitsgesetzes (EnSig) könnte ein zentrales Instrument werden. Der neu geschaffene Paragraf soll es dem Bund ermöglichen, sich bei angeschlagenen Erdgasunternehmen einzumischen – wie etwa das Land, das sich in der Corona-Pandemie bei der Lufthansa engagiert hat.
„Der ganze Markt droht zusammenzubrechen“
Zunächst einmal könnte der Staat Uniper helfen. Der Gasimporteur ist Deutschlands größter Gaslieferant und wird dringend benötigt, da weniger Gas aus Russland fließt. Jeden Tag macht der Importeur Millionenverluste, weil er jetzt das am Markt fehlende Gas teuer einkaufen muss, aber aufgrund der laufenden Verträge nicht an die Kunden weitergeben kann. Uniper fehlt es an Liquidität und hat bereits um Hilfe vom Staat gebeten. „Der gesamte Markt droht zu kollabieren, also ein Lehman-Brothers-Effekt auf das Energiesystem“, warnt Finanzminister Habeck.
Die Bundesregierung will eine Kaskade wie die durch die amerikanische Investmentfirma ausgelöste vermeiden. Als bewährtes Gegenmittel könnte der Paragraph 29 gelten. Der Staat greift ein, um lebenswichtige Infrastruktur zu retten und so eine Explosion der Marktpreise zu verhindern. Doch für die Regierung bleibt eine schwierige Frage: Wie stark darf der Staat in Unternehmen eingreifen? Wie stark werden die Risiken reduziert? Und wie lässt sich verhindern, dass der Steuerzahler am Ende die ganze Rechnung bezahlt?
Kommt Pay-as-you-go?
CDU-Oppositionsführer Friedrich Merz warnt vor möglichen Übernahmeplänen der Regierung: „Man muss nicht nur in das Unternehmen einsteigen, man muss einen klaren Plan haben, wie man da rauskommt.“ Habeck versucht in diesen Tagen deutlich zu machen, dass der Staat sowieso nicht alle Lasten schultern kann. Sie kann nur dafür sorgen, dass die Kosten gerechter verteilt werden. Der Minister dürfte auch befürchten, dass die Bürger sich zurücklehnen, die Gasheizung anstellen und viel duschen können mit dem Gefühl, dass der Vaterstaat sich darum kümmert.
Aber es könnte auch unangenehm für die Verbraucher sein. § 24 EnSig schafft die Grundlage dafür, dass Energieversorger erhöhte Versorgungskosten bald direkt an die Haushalte weitergeben können. Alternativ könnte künftig auch der neue Paragraf 26 des EnergieSiG herangezogen werden. Dort handelt es sich um eine „ausgewogene Preisanpassung“, eine Art Allokationsmechanismus. Ein „unabhängiger Schatzmeister“ könnte einen Zuschlag an alle Gasverbraucher verteilen. All dies sollte nur Teil des Baukastens sein. Was am Ende verwendet wird, hat auch mit dem 22. Juli zu tun.
Wie kann die Energieversorgung sichergestellt werden?
Martin Polansky, ARD Berlin, 7.7.2022 6:19 Uhr