Mo 04.07.22 | 11:16 Uhr | Von Ulrich Bentele
dpa/A.Franke) Video: Anhänger boomt im Fahrgastraum | 05.07.2022 | Ulrich Bentele | Bild: dpa/A.Franke) Berlin expandiert weiter. Wohnraum ist knapp und teuer. Immer mehr Menschen ziehen ins Umland. Der Einzugsgebiet wächst – mit Folgen für Infrastruktur, Immobilienpreise und Natur. Von Ulrich Bentele “Goldene Zeiten für Immobilienmakler?” Barbara Schroback runzelt die Stirn. „Das könnte man meinen“, sagt er. Dann kommt das Aber: “Die Nachfrage ist riesig, aber das Angebot ist sehr gering.” Als Makler müssen Sie zunächst die richtigen Objekte erwerben, um Aufträge zu erhalten. Aber es stimmt: Der jüngste Boom in Ihrer Gegend ist beispiellos. Schrobback ist Immobilienmakler in Grünheide, der Gemeinde südöstlich von Berlin, die fast nie ohne den Zusatz „Tesla“ passiert. Schroback ist hier aufgewachsen, kennt die Menschen und die Mentalität. Und er blickt mit Sorge auf die Entwicklung. „Es hat ungefähr 2017 angefangen, dass man fast jedes Jahr sagen könnte: 30-40 Prozent Preissteigerungen bei Immobilien.“ Dann kommt ein Satz, den Immobilienmakler – zumindest dem Klischee nach – selten hören: „Wenn sich alles um Preis und Maximum dreht, dann finde ich das persönlich unangenehm.“ Zumal es für junge Familien aus der Umgebung immer schwieriger wird, ein Eigenheim zu Hause finanzieren zu können. Das Gebiet um Grünheide ist vielleicht das typischste Beispiel für den Aufschwung, den die Region Berlin derzeit erlebt. Rund um Berlin steigen die Preise seit Jahren. Die Corona-Pandemie inklusive Lockdown-Erfahrungen in kleinen Berliner Stadtwohnungen ohne Balkon hat die Sehnsucht nach Flucht aus der Stadt ebenso verstärkt wie die Aussicht auf weniger Pendeln durch mehr Homeoffice.
Auswanderung aus Berlin
Die Bevölkerung im Berliner Raum ist seit 1990 um 50 Prozent gestiegen. Im Ballungsraum leben rund 4,7 Millionen Menschen, davon 1 Million im Berliner Raum. Künftig werden 42 Prozent der Brandenburger im Einzugsgebiet leben, das nur noch 10 Prozent des Landes umfasst. Und Brandenburgs Bevölkerung wächst weiter. Besonders beliebt ist das Nachbarland bei Berlinern. 2021 hat Brandenburg 18.479 neue Einwohner aus der Hauptstadt hinzugewonnen, so aktuelle Zahlen des Statistischen Landesamtes Berlin-Brandenburg. Neue Häuser in Schönwalde | Bild: Ulrich Bentele, rbb
Zehn Kilometer vom nächsten Supermarkt entfernt
Die Familie Kappenstein gehörte bald zu diesen Neubrandenburgern. Sie haben Ihre Entscheidung getroffen, die Ehe vor der Pandemie zu verlassen. Clara und Tobias haben zwei kleine Kinder und sollen mehr Bewegungsfreiheit, Natur und einen eigenen Garten haben. Das Wohnhaus in Schönwalde-Glien nordwestlich von Berlin ist fast fertig. Der Umzug steht bevor. Oma Kirsten ist bereits in Omas Wohnung eingezogen, dafür hat sie ihre Wohnung in Spandau verlassen. „Ich denke, so kommen wir unserem Ideal am nächsten. Ein kleines Neubaugebiet. Sie sind nicht die einzige Bulette, die hier einzieht. Einen Supermarkt gibt es nicht, aber der ist nur zehn Kilometer entfernt“, sagt Clara Kappenstein. Er ist freier Mediengestalter, hofft auf Heimarbeit Tobias ist Fachinformatiker, zieht künftig nach Berlin-Tegel. Ursprünglich hatten die Kappensteins gehofft, etwas näher an Berlin eine bezahlbare Baustelle zu finden, sind aber dennoch zufrieden: „So weit wie nötig, aber so nah wie möglich an Berlin“, sagt Clara Kappenstein. Eine gute Handvoll Häuser werden in unmittelbarer Nähe gebaut. Die neuen Nachbarn sind alle Berliner. „Wir sind definitiv zu spät dran. Sie hätten viel früher kaufen sollen“, sagt er über die explodierenden Preise. Andererseits sind sich alle einig, dass die Preise in der Pendlerzone trotz höherer Bauzinsen und stark steigender Baukosten auch in Zukunft weiter steigen werden.
stock rbb/adobe rbb|24-Podcast | alle Folgen – Lausitz Reloaded – Eine Region erfindet sich neu Mit dem Kohleausstieg steht die Lausitz vor einem beispiellosen Strukturwandel. Das Ende der Kohle ist eine Chance für einen grundlegenden Neustart. Im „Lausitz reloaded“-Podcast sprechen die Schauspieler über ihre Ideen und Projekte. Das sind Perspektiven für ein Gebiet, das sich vom Spreewald bis zur polnischen Grenze erstreckt.
Das Umland wird teurer, bleibt aber günstiger als Berlin
Und Immobilienkäufer kommen im Umland immer noch günstiger weg als in Berlin. Im Schnitt wurde hier im vergangenen Jahr eine Immobilie für etwa 3.500 Euro pro Quadratmeter verkauft und war damit laut einer McMakler-Marktstudie aus dem Jahr 2021 um 26 Prozent günstiger als in der Hauptstadt. Auch wer im Umland eine Wohnung mietet, kann bis zu 25 sparen Prozent im Vergleich zu einer Save-City-Wohnanlage, so eine Studie von Immowelt – wenn eine Anfahrt bis zu 60 Minuten akzeptiert wird.
rbb|24-Podcast | alle Folgen – Lausitz Reloaded – Eine Region erfindet sich neu
Mit dem Kohleausstieg steht die Lausitz vor einem beispiellosen Strukturwandel. Das Ende der Kohle ist eine Chance für einen grundlegenden Neustart. Im „Lausitz reloaded“-Podcast sprechen die Schauspieler über ihre Ideen und Projekte. Das sind Perspektiven für ein Gebiet, das sich vom Spreewald bis zur polnischen Grenze erstreckt. Das stetig wachsende Umland ist auch für die Politik eine Herausforderung. Zuletzt haben die Länder Berlin und Brandenburg in einem gemeinsamen Schienengipfel mit geplanten Investitionen von 8,5 Milliarden Euro den Ausbau der Schieneninfrastruktur gestartet. Ehemalige Kaserne in Krampnitz Auch der Wohnungsbau steht im Fokus und die Nachfrage wird in Zukunft weiter steigen. Nicht nur der Druck auf den Wohnungsmarkt in Berlin ist groß, auch Potsdam verzeichnet einen stetigen Zuzug. Dort entsteht derzeit im Norden der Stadt ein komplett neues Wohngebiet. In Krampnitz sollen sich bis 2038 10.000 Menschen in einer ehemaligen Kaserne auf einer Fläche von 140 Hektar ansiedeln. Die Ambitionen sind hoch: Sie wollen nachhaltig bauen, sozial ausgewogen – und auch die Verkehrserholung soll bei der Planung eine Rolle spielen: In Krampnitz so stehen künftig nur noch 0,5 Pkw-Stellplätze pro Wohneinheit zur Verfügung. Autos sind hier künftig nicht erwünscht. Dafür wird die Infrastruktur ausgebaut: eine Straßenbahnverbindung nach Potsdam und ein Radschnellweg. Allerdings wird der neue Radweg nach derzeitiger Auslegung dann durch ein Landschaftsschutzgebiet führen. Axel Kruschat, Geschäftsführer des BUND Brandenburg, sieht dies kritisch: „Der Radweg ist insofern problematisch, als er durch Schutzgebiete führt, und um dies zu vermeiden, müssen Alternativrouten gesucht werden.“ Umweltschützer fürchten um die sensible Natur rund um das geplante Wohngebiet. Ein Zielkonflikt, der auch anderswo in Berlin zu spüren ist: Menschen müssen leben, aber wo gebaut wird, scheinen Eingriffe in die Natur unvermeidlich.
Sehnsucht nach einem „dritten Platz“
Viele Menschen, die Berlin nicht ganz verlassen wollen, blicken auch vermehrt ins Umland. Unternehmer Benjamin Rohé hatte diese Klientel im Auge. Zusammen mit einem Geschäftspartner kaufte er einen Landgasthof und einen Reiterhof in Werder bei Jüterbog. Es soll ein Co-Working Space entstehen „Project June“, das Gebäude wird derzeit liebevoll und nachhaltig saniert. „Wir wollen hier einen Ort zum Treffen, zum Arbeiten, zum guten Essen, für ein bisschen mehr Work-Life-Balance. Dass die Menschen auch die Möglichkeit haben, nicht nur zu Hause oder im Büro, sondern auch an einem dritten Ort zu sein.“ sagt Rohe. Eine Antenne auf dem Dach sorgt für schnelles Internet. 60 Kilometer von Berlin entfernt, sollten sich hier Kreative und vor allem Freiberufler wenden. Die Fahrgastzone wird erweitert: Früher hieß sie JWD – „Janz weit draußen“ – heute sprechen wir von aufsteigenden Teilen in der „zweiten Reihe“. Sie wollen sich über ein Mitgliedschaftsmodell finanzieren, die Kosten liegen zwischen 150 und knapp 700 Euro im Monat. Für Menschen, die nur ab und zu zur Arbeit kommen, sowie für Menschen, die länger bleiben und auch übernachten möchten. „Die Frage kommt immer wieder auf: Stadt oder Land? Unsere Antwort lautet: Stadt und Land sollte möglich sein“, sagt Rohé und lacht. Ausstrahlung: rbb Fernsehen, 5. Juli 2022, 20:15 Uhr Beigetragen von Ulrich Bentele