130 Menschen wurden getötet und weitere 350 verletzt, es war der bisher größte Terroranschlag des sogenannten Islamischen Staates in Europa. Am Mittwoch, mehr als sechseinhalb Jahre nach den Anschlägen, endete der größte Prozess der französischen Geschichte: Der IS-Killer muss lebenslang ins Gefängnis! Dieses Urteil wurde vor Geschworenen in Paris gefällt. Der Mörder wird seine Haftstrafe voraussichtlich bis zu seinem Lebensende verbüßen müssen, wobei die Möglichkeit einer Freilassung nahezu ausgeschlossen ist. So sieht der Hofkünstler die Bühne im Palais de Justice in ParisFoto: BENOIT PEYRUCQ / AFP Der Prozess hatte sich seit dem Herbst in einer Reihe von Angriffen im November 2015 entfaltet. Damals verübten die Extremisten ein Massaker in der Konzerthalle Bataklan, bei dem 90 Männer und Frauen getötet wurden. Sie schossen auch auf Restaurantterrassen und Passanten in belebten Nachtclubs in Paris und töteten 39 Menschen. Drei Selbstmordattentäter und ein unschuldiger Mann wurden in dieser Nacht während eines Freundschaftsspiels zwischen Deutschland und Frankreich im Stade de France in die Luft gesprengt. Abdeslam, zweifellos der einzige Überlebende der Terrorgruppe, hat im Prozess viel Aufmerksamkeit erregt. Die Staatsanwaltschaft sah in dem 32-jährigen Franzosen die Hauptperson der Anschläge und sprach von der enormen Schwere seines Handelns. Abdeslam fuhr daraufhin drei Selbstmordattentäter mit ihren Bomben in einem schwarzen Kleinwagen in ein Fußballspiel zwischen Frankreich und Deutschland im Stade de France. Während der Explosionen im Stadion schlachteten Komplizen die Stadt ab. Abdeslam floh nach Belgien, dem Land, in dem er als Sohn französisch-marokkanischer Eltern geboren wurde, und wurde dort vier Monate später festgenommen. “Stade de France” am 13. November 2015: Zuschauer versammeln sich nach dem Schießen auf dem Spielfeld. Foto: FRANCK FIFE / AFP Er habe das Blut aller Opfer in seinem Gewissen und fast in seinen Händen, sagte er in der Berufung der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung forderte, Abdeslam im Hinblick auf mögliche spätere Strafkürzungen nicht zu einer “langsamen Todesstrafe” zu verurteilen. Der Angeklagte wurde in Belgien bereits wegen Schüssens auf die Polizei zu 20 Jahren Haft verurteilt und sitzt derzeit in Frankreich unter Sonderauflagen in Haft. Sechs der anderen 19 Angeklagten wurden in Abwesenheit vor Gericht gestellt. Ein Verdächtiger sitzt in der Türkei in Haft, fünf sollen in Syrien gestorben sein. Die Angeklagten sollen sich unter anderem Papiere beschafft, Abdeslam des Landes verwiesen oder als gescheiterte Attentäter gehandelt haben. Einigen wird auch vorgeworfen, nur eine untergeordnete Rolle zu spielen und gelegentlich Aufträge zu erteilen. Neben Haftstrafen hat die Staatsanwaltschaft für viele von ihnen zumindest ein vorübergehendes Aufenthaltsverbot in Frankreich gefordert. Angeklagter Salah Abdeslam (32) bei seiner Anhörung – so illustrierte der Gerichtsmaler die Szene Foto: BENOIT PEYRUCQ / AFP Der Prozess, der mehr als neun Monate dauerte, wurde in Frankreich mit Spannung erwartet. Die Anschläge haben die französische Gesellschaft lange Zeit erschüttert und verärgert. Viele sahen darin einen Angriff auf die französische Lebensweise. Anders als bei früheren Anschlägen, die sich gegen bestimmte Berufsgruppen oder Dogmen richteten, schien nach der Terrornacht niemand sicher zu sein. Die Staatsanwaltschaft war während des Prozesses auch davon überzeugt, dass es den Extremisten egal war, wen sie töteten. Neben persönlichen Einschnitten in das gesundheitliche, berufliche, familiäre und soziale Leben der Opfer wirkt sich die Horrorserie weiterhin auf das öffentliche Leben aus: Auf den Straßen und Küstenstraßen dürfen mehr Polizisten und Soldaten auftauchen und Eltern dürfen das nicht mehr Eingang zu den Schulen. Und weil der Terror nicht mehr nur von außen organisiert wird, sondern auch auf inneren Kräften beruht, sehen Experten die Gefahr einer weiteren Spaltung der ohnehin wegziehenden Gesellschaft. Viele Franzosen hofften, dass der Prozess von den Angeklagten und in einigen Fällen von Politikern beantwortet würde. Allerdings gab es keinen nennenswerten Erkenntnisgewinn. Der Hauptangeklagte Abdeslam hatte seine Verantwortung immer wieder relativiert, die tödlichen Anschläge und das zugefügte Leid der französischen Politik angelastet und den IS verherrlicht. Laut Staatsanwaltschaft ließ seine Haltung keinen Raum für Reue oder Schuldgefühle. Eine Frau mit Blumen nach den Anschlägen vor dem Konzertsaal BataclanFoto: Christophe Ena / AP Das muss frustrierend und frustrierend gewesen sein, besonders für die Überlebenden und ihre Familien. Wochenlang durchlebten Hunderte von ihnen in dem eigens für den Prozess errichteten Gerichtssaal die Schreckensnacht und berichteten von körperlichen und seelischen Verletzungen, die viele mehr als sechs Jahre nach den Anschlägen deutlich zu spüren bekamen. Ob die Urteile für die 20 Angeklagten den Trauernden bei ihrer persönlichen Arbeit helfen können, bleibt abzuwarten. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft gelang es dem Prozess, zumindest die Opfer und ihre jeweiligen Vermögen zu identifizieren.