Lugano ist keine klassische Geberkonferenz. Am Dienstag aber wollen Vertreter der knapp 40 teilnehmenden Länder bekannt geben, was sie zu tun bereit sind, um die Ukraine weiter zu unterstützen. Außerdem wird es eine abschließende Plenarsitzung geben. Tatsächlich wollte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zusammen mit dem Schweizer Bundespräsidenten Ignazio Cassis kommen und die Konferenz leiten. Vor dem Krieg erschien Selenskyj am Montag nur per Videoschalte – mit einem feurigen Plädoyer: Es sei die „gemeinsame Pflicht der gesamten demokratischen Welt“, die Ukraine wieder aufzubauen, sagte er. Aber auch Premierminister Denys Schmyhal ist nach Lugano gekommen, ebenso wie Aussenminister Dmytro Kuleba, Leiter einer grossen ukrainischen Delegation. Schmyhal präsentierte am Montag vor rund 1.000 Konferenzteilnehmern einen mehrere hundert Seiten langen Vorschlag zur Neustrukturierung. Die Ukraine hofft nicht nur auf Geld, sondern auch auf Know-how für „Smart Cities“. Einzelne Länder sollten sich in einzelnen Bereichen engagieren und dort den Wiederaufbau nach modernsten Standards vorantreiben. Die ukrainische Regierung will den Wiederaufbau ihres kriegszerrütteten Landes weitgehend mit russischem Geld finanzieren. Schätzungen zufolge seien mindestens 750 Milliarden Dollar (knapp 720 Milliarden Euro) nötig, sagte Schmyhal. Auch das weltweit eingefrorene Vermögen des russischen Staates und der Oligarchen in Höhe von etwa 300 bis 500 Milliarden Dollar soll genutzt werden. Sein Land hat bereits Infrastruktur im Wert von 100 Milliarden Dollar verloren. Anwälte betonen natürlich, wie schwierig es ist, eingefrorene Vermögenswerte zu beschlagnahmen und auszugeben. Urteile vor internationalen Gerichten können erforderlich sein. Die Oligarchen sollten direkt für die Beiträge zum Krieg verantwortlich sein. Der Premierminister appellierte an die Partnerländer, die dringendsten Reparaturen wie Wasserversorgung und Brücken trotz der Kämpfe sofort in Angriff zu nehmen. Rund 15 internationale Organisationen sind ebenfalls auf der Konferenz vertreten. Die Vereinten Nationen haben am Montag vor allem an die Solidarität der internationalen Gemeinschaft appelliert, um die verheerenden Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine einzudämmen. Die Europäische Investitionsbank (EIB) will ein ähnliches Hilfsprogramm wie in der Coronavirus-Krise auflegen. Es sieht einen EU-Ukraine Gateway Trust Fund (EU GTF) vor, für den die EU-Staaten und der EU-Haushalt laut einem Dokument der Nachrichtenagentur Reuters zunächst 20 Milliarden Euro in Form von Zuschüssen, Darlehen und Garantien bereitstellen. Mithilfe privater Investoren sollen dann bis zu 100 Milliarden Euro mobilisiert werden, was etwa der Hälfte des unmittelbaren Bedarfs der Ukraine entspricht. Das Geld soll vor allem für den Wiederaufbau von Infrastruktur wie Brücken, Wasser- und Energieversorgung, aber auch Telekommunikationsnetzen verwendet werden. EU-Kommission und EU-Staaten müssen noch zustimmen. Als Gegenleistung für Verpflichtungen wird die Ukraine wahrscheinlich Forderungen nach weiteren Reformen im internationalen Rahmen ausgesetzt sein, insbesondere im Kampf gegen die Korruption. Die Europäische Union wird die Ukraine unterstützen, bestätigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Europa hat eine besondere Verantwortung und ein strategisches Interesse, die Ukraine auf diesem Weg zu begleiten“, sagte er. Laut Bundeskanzleramt hat Österreich bisher mehr als 80 Millionen Euro zur Unterstützung der Ukraine und der vom Flüchtlingszustrom betroffenen Nachbarländer bereitgestellt. Aus Sicht des teilnehmenden Europaministers Edtstadler soll die Konferenz dank der hochrangigen Präsenz auf Ministerebene vor allem “ein weiteres Zeichen der Solidarität” für Kiew sein. Weitere Zusagen von österreichischer Seite will Edtstadler in Lugano nicht machen. Auch für die Ukraine sei es “psychologisch wichtig”, einen “Zukunftsplan” zu haben, “wie man einen funktionierenden Staat, eine funktionierende Infrastruktur und Wirtschaft erreicht”, denn “in einem unmittelbaren Kriegsgebiet kann man nicht wieder aufbauen”, sagte der Minister der APA. Gleichzeitig forderte Edtstadler einen Mechanismus der Europäischen Union, um das „Durchsickern“ von Entwicklungsgeldern in die Ukraine zu verhindern. Beispielsweise schlug er einen „Dienst, lokale Sondergesandte oder regionale Partnerschaften“ vor. „Das Geld muss dorthin fließen, wo es hingehört“, sagte er. Auch am Rande der Konferenz am Dienstag hat Edtstadler bilaterale Termine. Er wird mit der Vizepräsidentin der Weltbank, Anna Bjerde, und dem ukrainischen Minister für regionale Entwicklung, Oleksiy Chernyshev, zusammentreffen, der auch Sonderbeauftragter von Präsident Selenskyj für die EU-Annäherung ist. (SERVICE – )