29.06.2022, 23:28 Uhr

Erneut fordern prominente deutsche Persönlichkeiten, Journalisten und Wissenschaftler den Westen auf, sich stärker um eine Lösung durch Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine zu bemühen. Je länger der Krieg dauerte, desto unklarer wurde das Ziel von Sanktionen und Waffenlieferungen. In einem Appell an die Wochenzeitung „Zeit“ forderten Prominente, Journalisten und Wissenschaftler die westlichen Regierungen auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit die Kriegsparteien Russlands und der Ukraine „so schnell wie möglich zu einer Verhandlungslösung kommen“. Es brauche eine “große diplomatische Offensive”. Der Beitrag trägt den Titel “Feuer jetzt!” und stellt den Sinn einer fortgesetzten militärischen Unterstützung für die Ukraine in Frage. Zu den Unterzeichnern des Aufrufs gehören die Philosophen Svenja Flasspöhler und Richard David Precht, der Naturwissenschaftler Wolfgang Merkel, der General a. D. Erich Vad und Fernsehmoderator Ranga Yogeshwar. Der Text besagt, dass sich die Ukraine bisher auch dank westlicher Wirtschaftssanktionen und Waffenlieferungen gegen den “gewalttätigen russischen Offensivkrieg” wehren konnte. Allerdings werde mit der Zeit immer unklarer, “welches Kriegsziel damit verbunden ist”. Letztendlich wird ein ukrainischer Sieg, einschließlich der Rückeroberung aller besetzten Gebiete – einschließlich der Krim – von Militärexperten als unrealistisch angesehen, und Russland glänzt militärisch. „Die Fortsetzung des Krieges mit dem Ziel des vollständigen Sieges der Ukraine über Russland bedeutet, dass Tausende weitere Opfer des Krieges für ein Ziel sterben, das unrealistisch erscheint“, schlossen die Unterzeichner. Zudem beschränken sich die Folgen des Krieges nicht mehr auf die Ukraine. „Seine Fortsetzung verursacht massive humanitäre, wirtschaftliche und ökologische Notlagen auf der ganzen Welt.“ In Afrika droht beispielsweise eine Hungersnot mit Millionen potenzieller Opfer. Hinzu kommen ein rasanter Preisanstieg und eine Verknappung von Düngemitteln. All dies könne zu einer „Destabilisierung der Weltlage“ führen.

Warnung vor dem „Abnutzungskrieg“.

Der Westen müsse sich geschlossen gegen die russische Aggression und “weitere revanchistische Forderungen” stellen, heißt es in dem Appell weiter. Allerdings sei die Fortsetzung des Krieges in der Ukraine „nicht die Lösung des Problems“. Karikaturisten warnen vor einer möglichen Eskalation des Konflikts und nennen als Zeichen dafür die Ankündigung Moskaus, atomwaffenfähige Raketen nach Weißrussland zu liefern. Dabei könne allein eine Verhandlungslösung “einen jahrelang andauernden Zermürbungskrieg mit seinen tödlichen lokalen und globalen Folgen sowie eine militärische Eskalation bis hin zum Einsatz von Atomwaffen verhindern”. Konkrete Vorschläge, wie der Westen die russische Regierung gezielt in die Verhandlungen einbinden könnte, ohne die Interessen der Ukraine zu ignorieren, macht der Appell nicht. Er sagt nur, dass dies kein „Diktat der Kapitulation an die Ukraine“ bedeute. Es dürfe keinen “von Putin diktierten Frieden” geben. Stattdessen müsse die internationale Gemeinschaft “Bedingungen” schaffen, unter denen Verhandlungen nur möglich seien. “Dazu gehört auch die Aussage, dass westliche Akteure kein Interesse an einer Fortsetzung des Krieges haben und ihre Strategien entsprechend anpassen werden.” Dazu gehöre auch “die Bereitschaft, international für die Bedingungen des Waffenstillstands und das Ergebnis der Friedensverhandlungen zu sorgen”. Der Westen muss Kiew und Moskau davon überzeugen, die Kämpfe einzustellen. Sanktionen und militärische Unterstützung sollten “in eine politische Strategie integriert werden, die auf eine schrittweise Deeskalation bis hin zu einem Waffenstillstand abzielt”. Bislang habe es in dieser Frage „keine gemeinsame Anstrengung“ gegeben, sodass nicht davon auszugehen sei, dass die Regierung des russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht verhandeln wolle. Kritik kommt unter anderem vom Militärexperten Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München. Die Unterzeichner hätten Dinge gefordert, ohne Lösungen vorzustellen, stellt Masala auf Twitter fest. „Ja, es wird zu Recht darauf hingewiesen, dass dieser ‚regionale Krieg‘ viele globale Folgen hat. Aber es gibt nur einen Schuldigen: Russland. Es ist nicht der Krieg selbst, sondern Russlands Kriegsstrategie.“ Für eine diplomatische Lösung muss es Anreize für beide Seiten geben. Und Russland “wird jedes Zugeständnis seinerseits teuer, sehr teuer vergolden lassen”.