Der Originaltext der sechs Strophen wird Friedrich Spee (1591-1635) zugeschrieben, der im Dreißigjährigen Krieg lebte. Der Dichter und Moraltheologe schrieb viele der heute noch bekannten Hymnen und galt als scharfer Kritiker der Hexenprozesse. „O Heiland, öffne den Himmel“ wurde erstmals 1622 in einer Würzburger Liedersammlung für den katechetischen Unterricht gedruckt, mit der den Gläubigen von der Menschwerdung Gottes erzählt werden sollte. Ursprünglich wurde es auf die Melodie des Adventsliedes „Conditor alme siderum“ gesungen. Der erste Nachweis der heutigen Melodie findet sich 1666. Von Würzburg aus verbreitete sich das Lied schnell. Heute findet man es im Gotteslob, dem katholischen Gesangbuch, Nummer 231. Der biblische Bezug des Liedes ist ein Vers im Buch des Propheten Jesaja. „Geht weg, ihr Himmel, aus der Höhe“, sagt er in Kapitel 45 – es ist eine entscheidende Passage für die christliche liturgische Tradition in der Vorweihnachtszeit. Sie ist auch Namensgeberin der frühmorgendlichen „Rorate Messe“ im Advent, einem Votivgottesdienst zu Ehren der Jungfrau Maria, der ursprünglich nur an Adventssamstagen gefeiert wurde. Während Rorate-Messen – manchmal auch „Engelamt“ genannt – oft ruhig und besinnlich bei Kerzenschein in den dunklen frühen Morgenstunden zelebriert werden, hat das von Spee geschriebene Lied einen anderen Ton. Es ist affektreich, es herrscht eine große Unruhe, ein Platzregen, Sehnsucht nach einem Ende des Leidens. Dreimal in der ersten Strophe wird der Erlöser aufgerufen, etwas „einzureißen“ – den Himmel, seine Tore und Türen, seine Schlösser und Riegel. In einem Artikel über den Adventsschlag bezeichnet der Literaturwissenschaftler und Theologe Hermann Kurzke die erste Strophe als „rücksichtslos“ und „gewalttätig“: „Der kommende Messias darf nicht mit den Himmeln sorgsam umgehen, er muss sie zerreißen, die Türen eintreten. ihre Scharniere fallen so schnell wie möglich herunter.’ Die zweite Strophe ist „sanft“, die dritte „er träumt inbrünstig“, die vierte fragt klagend, wann das alles passiert, die fünfte beschreibt die Dunkelheit und die sechste ist eine Zusammenfassung aller Bitterkeit und Sehnsucht. In den Ausgaben des 17. Jahrhunderts finden sich Hinweise auf die Sänger des Liedes. „Seufzer alter Männer ins Leere“ lautet der Titel. Wer das Lied singt, erklärt Kurzke, schlüpfe in die Rolle der Väter von Abraham, Isaak und Jakob. Es ist eine Metapher „auf die Patriarchen und Propheten des Alten Testaments, die nach altem Glauben im Nichts schmachten, eine Art Buß- und Wartezimmer, in dem sie nach dem Messias schmachten“. Das Lied drückt die Befindlichkeit des Volkes Israel aus, das auf den Messias wartet, schreibt die Kirchenmusikerin Johanna Schell. Leidenschaftliche Emotionen sind charakteristisch für die Barockzeit, aber solche intensiven Emotionen sind neu für geistliche Lieder. Spee drückt eine “Heilssehnsucht” aus, die durch Klagen wie “O” und “Ach” verstärkt wird. Zeit seines Lebens litt Spee unter den verheerenden Folgen des Dreißigjährigen Krieges. Und vielleicht ist sein jahrhundertealter Text gerade deshalb so aktuell: Wenn die Welt von Krise zu Krise schlittert, der Krieg in der Ukraine und alle anderen Schauplätze von Krieg und Gewalt das Leben überschatten, dann wird die Zeit zum besonnenen Plätzchenbacken zum schallenden Ruf Gerechtigkeit, eine unbestreitbare Sehnsucht nach Erlösung aus dem Tal der Tränen. (Mütze/Kna)